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Diese Zahl wird patenschaftlich beschirmt von Aron Neubert aus Berlin.

Zu ihrer/seiner Patenzahl erklärt Aron Neubert Folgendes*:

 

Einhorn


1. Das Einhorn wird als ein wildes, ungeheuer starkes

Tier meist in Pferdegestalt, aber auch antilopen- oder

bocksartig gedacht und trägt als Haupteigentümlichkeit

ein langes, spitziges, gewundenes Horn mitten

auf der Stirn1). Auch hat es eine wulstartige Erhebung

auf dem Kopf, worin man wohl einen Karfunkelstein

sah2). Das Tier stirbt in der Gefangenschaft3).

Es ist einsiedlerisch und haßt männliche

Wesen4).

1) Me g e n b e r g Buch d. Natur 133; S t a r i c i u s

35; C a r u s Zoologie 125. 284. 295. 314. 347; B i r l i n -

g e r Volksth. 1, 359; H o v o r k a u . K r o n f e l d 1,

114 ff.; B r ä u n e r Curiositäten (1737), 592 ff. 2)

G r i m m Mythol. 3, 363; W. H e r t z zuWo l f r a m s

Parzival 526 (mit Belegen). 3) Me g e n b e r g a.a.O. 4) Hl.

H i l d e g a r d 289; s. H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 115.

 

2. Von den S a g e n über das Einhorn ist sein Kampf mit

dem Löwen bemerkenswert; dieser stellt sich vor

einen Baum und weicht dem anstürmenden Einhorn blitzschnell

aus, so daß es sein Horn tief in den Stamm

einbohrt und dadurch wehrlos wird5). Gelegentlich

wird das auch von Menschen, die vom Einhorn angegriffen

werden, so gemacht6). Vor allem aber war die Sage

von seinem Fang durch eine reine Jungfrau verbreitet,

zu der das sonst so wilde Einhorn traulich herankommt und

seinen Kopf in ihren Schoß legt. Die Fabel wurde

früh allegorisch auf Christus ausgelegt, der in den

Schoß der Jungfrau Maria eingegangen und dann von

den Juden gefangen und getötet worden sei7). Viele

Künstler haben die Szene dargestellt, sehr bekannt ist

Morettos Gemälde8).

5) Me g e n b e r g a.a.O.; B i r l i n g e r Volksth. 1,

359; vgl. S h a k e s p e a r e Jul. Caes. 2, 1. 6) Märchen

vom tapferen Schneiderlein: B o l t e - P o l i v k a 1, 164; 2,

21; vgl. auch L i e b r e c h t Z. Volksk. 113; G e r h a r d t

Franz. Novelle 76. 7) Ausgezeichnete Quellensammlung bei

Carl C o h n Zur literar. Geschichte des Einhorns (Wiss.

Beil. z. Jahresber. d. 11. städt. Realschule zu Berlin 1, 1896; 2,

1897). S. noch H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 115; S t o r -

f e r Jungfr. Mutterschaft 184; J. F r a n k o Die Einhornsage

und ihre bulgar. Variante (Sbornik na narodni umotvorenija),

Sofia 1896. 8) Fr. K u n t z e Die Jagd des Einhorns in

Wort und Bild, AKultgesch. 5 (1907), 273 ff.

 

3. Im Volksglauben hatte das Horn des Einhorns die

größte Bedeutung; es galt als kostbarer Talisman,

man fertigte Amulette und Ringe daraus9). 1416 ließ

der Herzog Johann von Burgund an ein Stück Einhorn

einen Griff machen10), 1565 gab Friedrich II. von

Dänemark sein Einhorn gegen eine große Summe als

Pfand11), ein »probiert und ein rechtes natürliches«

Einhorn wird 1568 für die Pfalz gesichert12). Man bezahlte

diese Hörner teuer, und so wurde Handel damit getrie-

ben. Man brauchte sie, um festzustellen, ob etwas

Gift enthalte, so Karl der Kühne, der das Stück eines

Einhorn stets auf seiner Tafel hatte13), aber auch zu sonstigen

Heilzwecken. Daher kommt das Einhorn auch als Giebelschmuck

vor14), und als Wappentier in der Heraldik

war es sehr beliebt; so führten es Dietmar von

Aist, der englische Dichter Chaucer, die Markgrafen

von Este; da es die Könige von Schottland im Wappen

trugen, kam es auch in das englische Staatswappen.

Auch Schillers Adelswappen zeigt den Oberleib

eines Einhorns15).

9) SchwVk. 10, 14 und 78 ff.; Alemannia 10 (1882),

110; P e t e r s Pharmazeutik 2, 160 ff.; H o v o r k a -

K r o n f e l d 1, 116; 2, 338. 10) SchwVk. 10, 14.

11) H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 116. 12) SchwVk. 10, 78 f.

13) A.a.O. 14; H ö f l e r Organotherapie 270; H e r t z

a.a.O. 526. 14) H e y l Tirol 788 Nr. 156. 15) C. C o h n

a.a.O. 2, 28 f.

 

4. Die Fabeleien vom Einhorn sind kein bodenständiger

deutscher Volksglaube gewesen, sondern sie beruhen,

wie die anderen europäischen Einhornsagen16), sämtlich

auf gelehrter, literarischer Überlieferung aus dem Altertum17).

Wir müssen zwei Quellenberichte unterscheiden:

der ältere geht auf Ktesias, den Leibarzt des

Artaxerxes II. Memnon, zurück (erhalten bei Aelian,

natur. anim. IV, 53). Darnach gab es in Asien eselähnliche

Pferde von weißer Farbe, mit rotem Kopf

und blauen Augen und einem großen Horn. Dieses

gilt als Heilmittel; etwas davon abgeschabt und in

einer Flüssigkeit genossen, schützt vor Vergiftung

und Krampf. Der jüngere Bericht stammt von Megasthenes,

der Indien besucht hat. Er beschreibt das Einhornvon der Größe eines

ausgewachsenen Pferdes mit Elefantenfüssen

und dem Schwanz eines Schweins

(Aelian XVI, 20); zwischen den Augen habe es ein

Horn von schwarzer Farbe. Es sei friedfertig und sanft

gegen andere und liebe die Einsamkeit, sei aber von

furchtbarer Wildheit gegen seinesgleichen; seine

Stimme sei laut und mißtönend18).

16) Frankreich: S é b i l l o t Folk-Lore 1, 296; Niederlande:

A . d e C o c k Volksgeloof 1 (1920), 153; Island:

G e r i n g Islendzk AEventyri; Griechenland: ZfVk. 15

(1905), 393; Polen: ZfVk. 16 (1906), 389; Italien: S t r a f -

f o r e l l o Errori 86 ff; Ukraine: ZfVk. 15, 393. Bulgarien:

F r a n k o a.a.O.; China: S e l i g m a n n 2, 138; Mexiko: Urquell

NF. 1 (1897), 257. 17) Die Namen sind sämtlich Lehnübersetzungen:

E., franz. licorne, italien. licorno, neugriech.

λιοκόρνο, lat. unicornis nach griech. μονοκέρως. 18) W. v.

Mü l l e r Das E. 1853; Ed. S c h r a d e r Die Vorstellung

vom μονοκέρωςund ihr Ursprung (Abh. d. preuß. Ak. d.

Wiss. 1892); Rob. B r o w n The Unicorn, a mythological

investigation. 1881; O. K e l l e r Ant. Tierwelt 1 (1909),

415 ff.; P a u l y -Wi s s o w a 5, 2, 2114 f.

 

5. Der jüngere Bericht geht auf das indische Nashorn,

das Rhinozeros; aber dazu kam die besondere

Rolle, die dieses Tier in der buddhistischen Symbolik

spielt: das »einsam wandelnde« Nashorn galt in der

buddhistischen Literatur als Sinnbild der Tugend,

Friedfertigkeit und Weltabgewandtheit. Das wird Megasthenes

durch mündliche Berichte gehört haben.

Auch Ktesias vernahm dunkle Kunde vom Nashorn,

vielleicht auch von tibetischen Antilopen, bei denen

die Hörner häufig verwachsen; aber bei ihm dürfte

auch ein Einfluß babylonischassyrischer Fabelwesen

nachklingen; jedenfalls sind Einhörner, teils mit Löwen

kämpfend, teils wie es von einem König getötet wird,

uns bildlich erhalten19).

19) S. Abbild. bei K e l l e r a.a.O. 415 f. (Fig. 142.

143), auch B r o w n a.a.O.

 

6. Auf diese beiden Berichte, die dann teilweise

miteinander verschmolzen wurden, geht alles zurück,

was in der vorchristlichen Literatur vom Einhorn berichtet

wird; nicht nur die einhornigen Pferde des Horaz

(Serm. I, 5, 58–60), sondern auch die betreffenden

Angaben bei Aristoteles (Hist. anim. II, 1), Strabon

(Geogr. XV, 710), Plinius (Nat. hist. XI, 255), Solinus

(52, 39), Philostrat (III, 2) u.a., soweit sie nicht

unmittelbar das afrikanische oder indische Nashorn

meinen, das im Amphitheater zu Ausgang der Republik

gelegentlich vorgeführt wurde.

Für die frühchristliche Zeit aber kam zweierlei

hinzu: einmal übersetzt man das hebr. Re'm des alten

Testaments (4. Mos. 23, 22; 5. Mos. 33, 17; Ps. 92,

11; Hiob 39, 9. 10; Ps. 29, 6 und 22, 22), das eigentlich

den wilden Büffel meint, in der Septuaginta durch

μονοκέρως, in der Vulgata mit rhinoceros, weshalb

es auch Luther durch »Einhorn« wiedergibt.

Vor allem aber hatte die Darstellung des Physiologos

(2. Jh. n. Chr.), wo Hellenistisches sich mit orientalischen

Wunderberichten paart, den größten Einfluß

auf die mittelalterliche Ansicht vom Einhorn: nach Kap. 17

dieses Werks ist das Einhorn ein wildes Fabeltier, bocksähnlich;

hier wird die abenteuerliche Geschichte vom

Fang des Einhorns durch eine keusche Jungfrau zuerst berichtet:

es nähert sich dem Mädchen und legt zutraulich

seinen Kopf in seinen Schoß, so daß dieses das

Tier mit sich nehmen und in den Palast des Königs

führen kann. Die ganze christliche Symbolik beruht

auf dieser Stelle, nachdem durch jene angeblichen Bibelbelege

die Anregung zu allerlei Ausdeutungen

nahe gelegt war.

 

7. Diese Jagdgeschichte des Einhorns im Physiologos beruht

nun aber auf einem groben Mißverständnis. Es

gab eine weitverbreitete altindische Geschichte vom

Einsiedler »E.« (Ekásrnga-), den eine Königstochter

mit Vorbedacht betört und ihn mit dieser List in den

Palast ihres Vaters bringt, wo er die furchtbare Dürre

des Landes mit seiner Wunderkraft beseitigen soll.

Der Name dieses Einsiedlers ist gewiß im Hinblick

auf jene buddhistische Symbolik (s.o. § 5) gewählt,

weil die älteste Fassung der bis nach Japan gedrungenen

Geschichte in einem buddhistischen Märchen

(Jātaka 526) erhalten ist. Durch einen plumpen Irrtum

ist diese Geschichte vom Einsiedel »E.« im Physiologos

auf den Fang des Fabeltieres bezogen worden20).

20) F.W.K. Mü l l e r Festschrift f. A. Bastian 1897,

531 ff.; H. L ü d e r s Nachr. d. Kgl. Ges.d. Wiss. z. Göttingen,

phil.-hist. Kl. 1897, 115; 1901, 53 ff.; R. G a r b e Indien

und das Christentum 1914, 63 f.

 

8. Die Hörner, mit denen man im MA. Handel

trieb, waren meistens Narwalzähne, wozu gelegentlich

ein passender fossiler Fund21) gekommen ist.

Manch abnorme Hörnerbildung, wobei das eine Horn

bis zu einem Wulst verkrüppelt sein kann, kommt vor

und trug zur Erhaltung des Volksglaubens bei. Der

Karfunkelstein (s.o. § 1), den schon der Pfaffe Lamprecht

im Alexanderlied 5581 erwähnt, ist so zu verstehen.

Durch Böcklins »Schweigen im Walde« ist

das alte Fabeltier wieder allgemein bekannt geworden.

21) S. SchwVk. 10, 79. Güntert.

 

 

 

Quelle:


Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens

(Herausgegeben von Hanns Bächtold-Stäubli

unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer;

Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1927 - 1942)

 

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