Ein Fest der Zahlen? Die Volkszählung am 9. Mai 2011

03.05.2011 |

Für Zahlpatinnen und Zahlpaten sowie alle anderen Interessierten an der Zahlpflege könnte es ein wahres Fest der Freude werden, wenn am 9. Mai 2011 die Bevölkerung in ganz Europa gezählt wird. Die Europäische Union hat bestimmt: Alle EU-Bürger_innen mögen geschätzet werden. Ach was, nicht nur geschätzet - genauestens gezählt! Ein Wahnsinns-Unterfangen bei vermuteten 450 Mio. (eine Zahl mit 9 Stellen!) Menschen in der EU.

Wozu der ganze Aufwand?

Auf europäischer Ebene wird der sogenannte Zensus 2011 mit den bald geltenden neuen Entscheidungsmechanismen der EU begründet, bei denen nicht mehr alle Mitglieder einstimmig im Konsens entscheiden, sondern ein kompliziert ausgeklügeltes Mehrheitsentscheidungsverfahren gilt. Das Stimmengewicht eines jeden Landes setzt sich dabei v.a. auf Basis seiner Bevölkerungsanzahl zusammen. Logisch also, dass es die EU hier ganz genau wissen will.

Auch auf Bundesebene findet eine aktuelle Werbekampagne der Bundesregierung viele gute Gründe, warum wir eine "modernde Volkszählung" brauchen. Unter anderem wird der Ländernfinanzausgleich auf Basis der Einwohner_innenzahl der Bundesländer berechnet. Bei Verschiebungen in den offiziellen Länderstatistiken kann es also auch zur Verschiebung der ein oder anderen Euro-Million zwischen den Bundesländern kommen.

Geht es wirklich nur ums Zählen?

Leider bleibt für Freundinnen und Freunde der Zahl ein fader Beigeschmack. Der EU-Zensus 2011 beschränkt sich nicht auf die bloße Zählung, also die Feststellung einer Anzahl. Als sogenannter registergestützter Zensus werden vielmehr umfangreiche Datensätze aus verschiedenen staatlich verfügbaren Quellen wie Einwohnermeldeämtern, Arbeitsagenturen, Liegenschafts- und Katasterämtern usw. zusammengefasst. Dazu kommt eine stichprobenmäßige Haushaltsbefragung von ca. 10% aller Haushalte, bei denen auch noch verschiedene andere demografische Daten wie etwa die (freiwillige) Angabe zur Religionszugehörigkeit.

Kein Weltuntergang?

Im Gegensatz zur geplanten Volkszählung in der BRD in den 1980er Jahren fällt die öffentliche Kritik und der Widerstand diesmal recht gering aus. Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich in Sachen Datenschutzrecht einiges getan hat. Die Volkszählungsdaten unterliegen einer strengen Zweckgebundenheit, dürfen also nur zur statistischen Auswertung von Bevölkerungszusammensetzungen benutzt werden (bis auf kleine, gesetzlich geregelte Ausnahmen).

Wer dem Staat also hierbei vertraut, muss sich nicht unbedingt sorgen. Wer dieses Vertrauen nicht aufbringt, und dazu mag es individuell gute Gründe geben, dem ist sein Unbehagen gezählt zu werden zuzugestehen. Entkommen wird er/sie aber dennoch nicht. Der Registerzählung nicht, weil er/sie daruaf gar keinen Einfluss hat. Der etwaigen Haushaltsbefragung nicht, da diese Nicht-Kooperation ordnungsrechtlich ahndet und Kooperation notfalls erzwingt. Andererseits zwingt einen der Staat ja auch dazu, eine Steuererklärung auszufüllen...

Der Politikwissenschaftler Daniel Schmidt fasste jüngst bei einer Veranstaltung des "Salon Surveillance" in Leipzig die Frage nach der Kritischen Betrachtung des Zensus wie folgt zusammen:

"Letztlich steht nicht zu erwarten, dass die Bundesrepublik mit dem aus dem Zensus gewonnenen Wissen besser oder schlechter regiert oder verwaltet werden wird. Auch ist es weitgehend unerheblich, ob das Land 82 oder nur 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner hat. Und angesichts der Fülle von personenbezogenen Daten, die die meisten von uns privaten Unternehmen bereitwillig zur Verfügung stellen, verfängt die staatliche Datenzentralisierung zu statistischen Zwecken inzwischen nicht mehr so richtig.

Das interessantere Problem scheint mir nicht so recht in der Volkszählung zu liegen, sondern darin, was man damit später einmal in politischen Diskursen macht. Die eigentümlichen, oben gezeigten Kategorisierungen der religiösen Bekenntnisse liefert einen ersten Vorgeschmack."

Trotzdem also der Zensus 2011 tatsächlich nicht so schlimm erscheint wie die Volkszählung 1983, lohnt es sich wachsam und kritisch zu bleiben.

Alternativen sind machbar!

Was all diese Angaben mit Zahlen bzw. mit dem Zählen zu tun haben sollen, fragt man sich unweigerlich. Ginge es lediglich um die letztgültige Einwohner_innen-Anzahl möchte ich für die Zukunft ein alternatives Verfahren vorschlagen (schließlich soll dem Willen der EU zufolge so eine Volkszählung nun alle 10 Jahre stattfinden):

Der Zählstichtag wird zu einem gesetzlichen Feiertag erklärt. Vormittag stellen sich alle Leute vor ihrem Haus auf und dann wird wie früher im Sportunterricht zur Bildung der Teams abgezählt. Ich (oder irgendwer anderes, von mir aus auch die Kanzlerin) beginne mit eins, meine Mitbewohnerin macht weiter mit Zwei, Frau Krause von unter uns mit Drei. Bis zum Mittag sollten alle fertig geworden sein. Der Nachmittag ist frei. Da feiern wir alle mit unseren Nachbar_innen den fröhlichen ersten europäischen Zahltag. Diesmal aber wieder hinterm Haus im Garten, und ohne den Staat.

Mehr sinnvolle Informationen gibts hier:

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